Berlin Requiem - Roman by Heyne

Autor:Heyne
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Heyne
veröffentlicht: 2013-07-11T16:00:00+00:00

23

Der neue Flughafen von Berlin heißt »Willy Brandt«. Verrückte Welt, denkt Robert, das passt ja. Die Hallen sind voll mit Menschen auf dem Weg ins Exil.

»Ihr Flug nach Westerland verspätet sich um voraussichtlich eine dreiviertel Stunde. Boarding Time ist jetzt um 11.05 Uhr«, sagt die Abfertigungs-Dame und schiebt ihm die Bordkarte über den Tresen. »Und damit können Sie noch zufrieden sein. Wir kommen mit den Check-ins kaum nach. Seit einer Woche ist es die Hölle.«

Robert nickt und lächelt. Die Frau richtet ihr rotes Käppi.

»Ist ja auch kein Wunder. Sie können in der Lounge warten. Erster Stock, Sie gehen …«

»Vielen Dank, kein Problem. Ich kenne mich aus.«

»Guten Flug.«

»Danke.«

»Und viel Glück.«

»Na klar, Ihnen auch.«

Sie möchte noch etwas sagen, zögert.

Robert lächelt noch einmal. Er kann nicht anders.

»Ja?«

»Ach, ich habe keine Ahnung, was ich hier noch mache. Am liebsten würde ich mir selbst ein Ticket ausstellen und …«

Sie ist attraktiv, vielleicht Ende zwanzig. Dunkle Haare, sorgfältig geschminkt. Auf dem Namensschild steht »Diana Schneider«.

»Alles Gute, Frau Schneider.«

»Diana.«

Sie lächelt.

Robert nimmt die Karte vom Tisch, steckt sie in die Innentasche seines Jacketts und geht.

Er sieht Hennig Sterb von hinten, erkennt ihn an der seltsamen Eleganz, mit der er seinen massigen Körper durch die Menge bewegt. Der Politiker ist nur zwanzig Meter vor ihm, doch im Getümmel fällt es Robert nicht leicht, ihn im Auge zu behalten. Er hat noch gut vierzig Minuten Zeit. Also läuft er Sterb hinterher. Warum, weiß er auch nicht. Dass er Berlin verlassen wird, hatte der Senator ihm schon gestern angekündigt. Sterb folgt den »GAT«-Schildern, er hat wohl einen Privatflieger gechartert. Wie Robert reist auch er ohne Gepäck. Und ohne Begleitung. Das ist seltsam. Normalerweise hat er immer jemanden dabei – seine Entourage oder, weniger offiziell, eines der russischen Mädchen, die er nicht ganz ohne Eigennutz in Visa-Angelegenheiten berät.

Kurz vor dem Privat-Check-in holt Robert ihn ein. Er steht fast direkt neben ihm, aber der Politiker bemerkt ihn noch nicht. Sterb zupft das Einstecktuch aus seinem Jackett und tupft sich damit die Stirn, wirft es verstohlen in einen Papierkorb.

»Herr Senator?«

Sterb dreht sich um. Er tritt einen Schritt zurück. Für einen Moment ist er irritiert, was Robert verunsichert. Dann findet der Politiker seine Fassung wieder.

Die blauen Augen funkeln. Er breitet die Arme aus. Große Geste. Wie üblich.

»Truhs! So sehen wir uns doch noch einmal.«

»Ganz richtig.«

»Und ich dachte …«

»… ich wäre der, der bis zum Schluss bleibt.«

Der Politiker blickt auf seine Armbanduhr. Ein schweres, goldenes Ding. Ben wäre neidisch. Sterb greift mit seiner gewaltigen Pranke nach Robert und zieht ihn aus dem Strom der Menschen, in dem die beiden Männer stehen wie die Felsen in der Brandung.

»Mein Junge, verzeihen Sie mir, aber ich bin tatsächlich ein wenig enttäuscht von Ihnen.«

»Ja?«

»Das Material, das ich Ihnen gegeben habe …«

»Nun, Sie hatten mich inständig gebeten, es nicht zu veröffentlichen, daher …«

Sterb schließt die Augen für eine Sekunde, öffnet sie dann. Ein kinoreifer Effekt.

»Junge, Truhs, sind Sie wirklich so naiv? Dachten Sie, ich würde Ihnen einen solchen Schatz in die Hand geben, wenn ich nicht damit rechne, dass Sie ihn zu nutzen wissen?«

Natürlich hat er recht.

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